Texte zum Thema Abtreibung

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Auftragsmörder - Editorial

2.12.2018 Die Weltwoche | Weltwoche Online –   https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2018-47/artikel/auftragsmoerder-die-weltwoche-ausgabe-47-2018.html 2/6

 

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Auftragsmörder

Papst Franziskus und die Abtreibungen

Editorial Die Weltwoche, Ausgabe 47/2018 - von Roger Köppel

 

Nun also steige ich in eine Debatte ein, von der ich besser die Finger lassen sollte. Schon eine meiner ersten Freundinnen riet mir dringend ab, dieses heisse Eisen anzupacken. «Das ist Frauensache, davon versteht ihr nichts.» Sie ahnen es, ich rede von Abtreibung. Kürzlich sagte Papst Franziskus zur Empörung aller, die in der Bibel eine Vorstufe des sozialdemokratischen Parteiprogramms erblicken wollen: Eine Schwangerschaft abzu-brechen, sei, «wie jemanden zu beseitigen». Es war abzusehen, dass solche Aussagen auf dem progressiven Flügel der Gottesgläubigen wenig Freude auslösen würden, doch Franziskus legte in freier Rede nach. «Ist es richtig, ein menschliches Leben zu beseitigen, um ein Problem zu lösen?» «Ist es richtig, einen Auftragsmörder anzuheuern, um ein Problem zu lösen?» «Einen Menschen zu beseitigen, ist wie die Inanspruchnahme eines Auftragsmörders, um ein Problem zu lösen.» Mit «Auftragsmörder» war der Arzt gemeint. Selten, vermutlich noch nie hat ein Papst derart scharfe Worte verwendet, um eine simple Forderung eindringlich auf den Punkt zu bringen. Du sollst nicht töten. So steht es in der Bibel. Und natürlich sind in diesem Tötungsverbot auch all jene Ungeborenen inbegriffen, die jährlich zum Beispiel in der Schweiz auf Kosten der Krankenkasse «beseitigt» werden. Darunter sind auch Babys, politisch korrekter: Embryos, die im Zuge einer nachgeholten Verhütung abgetrieben werden. Das klingt schrecklich, das ist schrecklich, aber es ist eine Realität. Volkssport Abtreibung? Das ist böse gesagt, aber nicht ganz falsch. Die moderne Zivilisation jedenfalls hat eine beängstigende Lässigkeit, eine Leichtfertigkeit im Umgang mit dem Leben entwickelt, sofern es um das Leben anderer geht. Es ist etwas schizophren. Die gleichen Leute, die keine Kosten scheuen, um menschliches Leben künstlich zu verlängern; die gleichen Leute, die allen Paaren, auch den homosexuellen, durch moderne Technologien Kinder verschaffen wollen, die sie auf natürlichem Weg nie haben könnten: Die gleichen Leute, die «Fortschrittlichen», finden es ebenso richtig, bis zu einem willkürlich festgesetzten Zeitpunkt die Abtreibung, die gewaltsame Tötung Ungeborener, zu erlauben, ja diese Tötung als unverlierbares zivilisatorisches Recht gegen alle Kritiker mit fast schon religiöser Inbrunst einzufordern. Menschen sind Egozentriker. Jeder stellt sein Leben über alles. Es gibt aber auch, was ungeborenes Leben angeht, eine gewisse Nonchalance des Tötens. Das eine ist eine Folge des anderen. Vermutlich hat es Papst Franziskus, zu dessen Fans ich nicht gehöre, gerade deshalb so drastisch ausgedrückt. Ich nehme an, er wollte diese Nonchalance des Umbringens kenntlich machen, attackieren. Natürlich gab es heftige Reaktionen, Zorn, Kopfschütteln, Empörung, alttestamentarische Wut. #MeToo gegen Gott und seinen Stellvertreter. In der Schweiz traten dieser Tage unter Applaus gleich sechs prominente linke Frauen aus der Kirche aus: die ehemaligen Nationalrätinnen Cécile Bühlmann und Ruth-Gaby Vermot, dann die Mitgründerin der «Erklärung von Bern», AnneMarie Holenstein, sowie die grüne Sozialpolitikerin Monika Stocker und die beiden feministischen Theologinnen Doris Strahm und Regula Strobel. Der Schweizerische Katholische Frauenbund (SKF) «bedauert» diesen Entscheid, habe dafür aber «grosses Verständnis». Warum eigentlich? Waren die sechs Frauen und der SKF der Meinung, dass es sich beim Vatikan bis jetzt um eine abtreibungsfreundliche Institution gehandelt habe? Oder aber sind sie verschnupft, weil sie in Franziskus bisher einen verlässlichen Mitstreiter für ihre linken Anliegen zu haben glaubten, so dass sie es ihm besonders übelnehmen, wenn er jetzt so hart, so konservativ das Recht auf Leben schützt? Und wo liegt eigentlich der Skandal, wenn ein Papst gegen Abtreibungen predigt? Es gibt keinen. Es ist seine Pflicht. Papst Franziskus denkt und handelt folgerichtig, logisch im Sinne seines Glaubens. Wenigstens diesmal. Der Mensch darf nicht töten. Punkt. Warum nicht? Weil das Leben ein Geschenk Gottes ist, für das der Mensch nichts kann. Wunderschön ausgedrückt findet sich dieser Gedanke in einem Kirchenlied des Dichters Paul Gerhardt: «Was sind wir doch, was haben wir auf dieser ganzen Erd, das uns, o Vater, nicht von dir allein gegeben werd?» Philosophisch präziser formulierte es, sinngemäss verdichtet, der berühmteste Schweizer Theologe des Protestantismus, Karl Barth: Der Mensch ist, was er ist, allein durch Gott. Mit andern Worten: Gott ist Ursprung des Lebens. Alles, was wir sind, haben wir ohne unser Zutun von Gott. Nicht Menschen zeugen Leben beim Sex. Es ist ein göttlicher Funke, der den Austausch von Körpersäften zu einem Akt der Schöpfung macht. Man muss das nicht glauben, aber wenn man sich als Christ bezeichnet, sollte man es glauben, und vor allem sollte man den Papst nicht dafür tadeln, dass er es glaubt. Das ist nicht, wie der Katholische Frauenbund schäumt, Ausdruck eines «patriarchalen Machtapparats». Es ist schlicht und einfach angewandtes Christentum. Leben geben und nehmen, das darf nur Gott. Wenn die sechs linken Frauen jetzt so geräuschvoll aus der Kirche austreten, dann ist das konsequent, aber auch ein bisschen peinlich. Konsequent, weil es ihren Überzeugungen entspricht. Etwas peinlich, weil sie anscheinend erst jetzt gemerkt haben, dass sie bei einer Institution dabei waren, die das Leben als göttliches Geschenk gegen alle menschlichen Übergriffe verteidigt. Die Austritte haben so gesehen auch etwas Entlarvendes. Wenn Linke die Kirche verlassen, weil die Kirche an einem Punkt nicht mehr links genug ist, bestätigen sie einen Eindruck, den sie sonst gerne bestreiten. Erstens: Linke sind nicht besonders tolerant. Zweitens: Linke beanspruchen, vereinnahmen die Kirchen, die gehorsam mitspielen, als Zitadellen ihrer Weltanschauung. Gut, dass auch dieser Missbrauch jetzt ans Licht kommt.

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